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Anfang der 70er Jahre im 20. Jahrhundert gab es einen rundlichen Grundschuldlehrer, der anfing Märchen vorzulesen anstatt Alphabet und Grundrechenarten zu unterrichten. Es war die Methode seiner Wahl, um zu überstehende Katerstunden möglichst sanft zu überbrücken und wenigstens bis zum Mittagstisch durchzuhalten und den Kindern auf intellektuellem Minimalniveau gerecht zu werden.
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Eine Großmutter betrieb einen von drei Dorfgasthöfen in welchen der Pädagoge täglich wiedereinkehrte. Er war ein einsamer Dauergast. Sein Platz wurde nah am Ein-/Ausgang eingedeckt. Dort saß er an einem Vierertisch, nahe der Zimmerpflanzen am Fenster, etwas abseits und dicht an der Garderobe.
Er aß still sein Mittagsgericht, trank sein Bierchen, schloß mit einem Kurzen ab...--... den Stammtisch mit dem Dorfpolizsten, Tischler und den Bauern im Blick. Das kleine, schwere Kömglas setzte er knackig mit markantem "Klack" zurück auf den Tisch. Hörbar zischte es beim Einziehen frischer Luft zwischen seinen geschlossenen Zähnen "chhhhhhhHHH". Sein Antmungsapparat füllte sich bis zum Platzen mit dem verflüchtigenden Ethanol. Danach entwich ihm ein erlösend-gutturales "ChAhhhh..." aus halbgeöffentem Mund.
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Zum Einkaufen ging der junge Herr mit den rotgeäderten Wangen, dem ölig, platt zurückgekämmten Haar, stets proper im jahreszeitgerechten, blaugrauen Mäntelchen, abwechselnd in einen der drei Dorfläden. Mal hier, mal dort holte er sich seine Flüssignahrung.
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Das neueste der Geschäfte befand sich direkt gegenüber des uralten, kleinsten Dorflädchens. Die Zugezogenen (es waren nie Geschichten über ihren Ehemann laut geworden, nur geflüstert: "[...] Kriegsflüchtlinge, die [...] als die Russen kamen, ohne ihn [...] übers Haff nach Deutschland geschafft [...] sich im Dorf niedergelassen [...]'"- diese Eignerin hatte einen Sohn nahezu gleichen Alters wie der Pädagoge. Beide war ähnlich wabbelig-rundlich um den Bauch herum, nur der Kaufmann weisslich-fahl im Gesicht. Er, Vater von vier Söhnen, trug die gleiche Frisur wie der sporadische Käufer: sehr straff und ordentlich, mit viel Pommade zurückgekämmt, schwarzbraun wie die Haselnuss.
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Sehr früh begann der ambitionierte Kaufmann des Dorfladens mit dem Aufbau und der Pflege seiner, von ihm stets so-genannten, "zukünftige Kundschaft": Zielgruppe "jüngste Kinder" sämtlicher bei ihm einkaufender Mütter. Kontinuierlich verabschiedete er die kecken Kleinen mit einem ziegenmeckernd gelachten, hauseigens erdachten Spruch -- in etwa so:"...und jetzt: ab nachhause! Füße waschen und zu Bett - Hehehehe...". Zuvorvor reichte er oft (keinesfalls immer!) - einen (1) Kirschlolli zu zwei (2) Pfennig oder einen (1) Dauerlutscher zu einem (1) Pfennig. - Die Farbauswahl (hellrosa,/-gelb/-blau/weiß) überließ er dem jungen Gemüse selbst, als bindungsgründende Standard-Aufgabe. Die Gören dachten dann un-/gebunden hin- und her und fühlten sich beachtet und beglückt.
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Der jüngste der vier Kaufmannssöhne war ein zerbrechliches Kerlchen mit Segelohren, Zahnlücke, rotblondem Haar, klitzekleinen Augen und farblosen Wimpern. -- Zusammen ging er mit der grobknochig und hoch gewachsenen, jüngsten Nachfahrin der alteingesessenen, agrarwirtschaftlich etablierten Großfamilie in ein- und dieselbe Grundschuldklasse.
Es war jene Klassengemeinschaft, welche Tag für Tag, die Fortsetzung einer vorgelesenen Geschichten vonseiten ihres "Herrn Lehrer"'s genoss und am Nachmittag keine Hausaufgaben mitbekamen. -- Ein Umstand, der von jedem anderen Geschwisterchen im Dorf stark geneidet wurde. "Nicht denken müssen! Welch ein Luxus!"
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Die Mütter der übersichtlichen Dorfgemeinschaft standen an Gartenmauern, Zäunen oder Ecken vor dem einen oder anderen Laden. In langen Gesprächen beklagten sie sich über die sehr laxen Unterrichtsmethoden des, aus der Stadt angereisten Lehrers.
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Eine der Erziehungsberechtigten beklagte die enorme Rechtschreibschwäche ihrer Kleinen. Diese bringe fortwährend dramatisch schlechte Noten nach jedem Diktat zum Gegenzeichnen mit. - "Meine Tochter hat L.e.g.a.s.t.h.e.n.i.e. - ...hat er gesagt..." Stolz schwang mit, das Fremdwort als erste im Kreis genutzt zu haben. Nach einigem Geschnatter fabrizierte die mütterliche Gruppe eine gemeinschaftlich abgesegnete General-Schuldzuweisung zu Ungunsten des Grundschullehrers. - ...obwohl...-... vielleicht hatte er ja doch recht und es war nur eine Krankheit mit Namen Legasthenie.
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Irgendwann bekam eines dieser Kinder einer mehrfachen Mutter eine Gehirmhautentzündung. "Das ist M.e.n.i.n.g.i.t.i.s. -- eine Gehirnhautentzündung." informierte sie in mehr gewichtigem als besorgten Ton. Den Geschwistern hieß es fortan: "Seid still. Tut was sie sagt. Regt sie nicht auf.".
Das Diktat der Tyrannei zog in den Lebensalltag der Familie ein. Das im zarten Alter von 7 Jahren erkrankte Wesen nahm jede Möglichkeit wahr, zu kommandieren. Sechs Wochen lag sie auf dem Sofa nach einer Woche Krankenhaus. Die Diktatur hielt zeitlebens.
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Es war eine große "Kleine" mit wilder Lockenpracht. Sie sah aus wie die Gold-Putte eines bayrischen Altar-Reliefs: Dickes, rundes, lachendes Engelchen mit feisten Pausbäckchen. Zusammen mit ihrem älteren Burder stürmte die 8-jährige zurück in das ungeheizte Kinderzimmer. Zwei Turnbeutel schleuderten aufs Bett -- ihrer rot, seiner blau -- prall voll. Vor dem, mit Frostblumen vereisten Fenster schütteten beide lachend ihr Diebesgut des gemeinsamen Raubzuges durch sämtliche Dorfläden aus: Dauerlutscher, Kirschlollies, Kinderschokolade, Kaugummi-mit Tatoo-Bildchen, Zuckerketten, Kekse.
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Stolz und selbstbewußt zeigten sie ihre Beute der entsetzten Schwester und boten Teile zum Kauf an. "...wir sind billiger als Onkel Lolli...". Die dreisten zwei verlachten lauthals das losgebrochene Entsetzen "...das dürft ihr nicht!--... das ist doch Diebstahl!!"
Die herbeigeeilte Mutter nörgelte "was streitet ihr schon wieder?" und setzte den aufgebracht empörten Vorwürfen der älteren Tochter hüstelnd ein rasches Ende: "hört auf. Ich darf mich nicht aufregen.".
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2022, zweite Dekade 21.stes Jahrhundert, fiel ein Buch in die Hände einer alten Frau. Es befand sich ein handschriftlicher Eintrag auf der roten Einbandseite dieses Buches. In dicken, seltsam kurvigen Lettern stand da geschrieben:
"Liebe Mutti,
Weihnachten, 2013
nicht nur für "Söhne"
trifft der Autor den "Nagel auf den Kopf".
Ich hab Dich lieb und
bin mir sehr bewußt,
was Du alles für mich
getan (und was Du für mich
tu'st) hast.
Frohe Weihnachten, Leila
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Die platinblond gefärbte Frau höheren Alters hatte 2003 eine Arbeitsstelle in jenen, von ihrer Mutti so genannten, 'besseren Kreise' in Thüringen angenommen. "Endlich ist sie da, wo sie hingehört." - Auch der führerscheinlose Vater gab mit den wirtschaftlichen Errungenschaften seiner, sonst eher im Modus des Bedauerns erwähnten und mit Besorgnis behüteten, Tochter an: "Sie fährt so ein großes Auto, wo die Straßenkarte beim Fahren an der Windschutzscheibe angezeigt wird. Sie hat mich mitgenommen. Das war richtig toll!".
Im Laufe der Zeit, hatte die, irgendwann angelernte Tischlerin eine Umschulung zur Haushälterin abgeschlossen. Als solche war sie im neuen Bundesland eingestellt worden. "Richtig Reiche, die was zu sagen haben." Später schloss die Platinblonde Arbeitsverträge in Kreiskrankenhäusern und mit den Geschäftsleitungen von Seniorenheimen für gutsituierte Kund*innen ab.
Im Zuge dieser berufswirtschaftlichen Entwicklungen gab Haushälterin Ihre unehelich geborene Tochter, als einzig zu betreuende Enkelin in die Hände der Alten. Das Enkelkind wurde mit aller Liebe in die großmütterlichen Alltagsabläufe nahtlos eingeordnet und geprägt wie zuvor die selten anwesende Mutter.
Dem Großvater hingegen wurden nahezu täglich seine Alkoholsucht, sein versagtes Erbe, seine zerrüttete berufliche Karriere und daraus resultierende Unsicherheiten, Haltungsschwächen und minore Verhaltensfehler lautstark und gnadenlos wieder und wieder vorgeworfen. Das Enkelkind schloss ihr Abitur später in einem jahrelang besuchten Elite-Internat ab.
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Nach ihrer Rückkehr von einem längeren Auslandsaufenthalt-Aufenthalt begann die, von der Berufsplanung der Mutter und der emotional vereinnahmenden Großmutter, geprägte junge Frau ein Jura-Studium, Schwerpunkt Erbrecht auf.
Im Werkstudentenvertragsmodus lernte die Studierende im thüringischen Orbit sächseln sowie affektiv motiviert, juristisch effektiv und ordentlich, im Passiva-Aktiva-Kontroll-Modus effizient organisiert, Immobilienprojekte erfolgreich für traditionell Profit-Interessierte zu planen und unumstößlich abzuschließen. Geschäftstüchtig und obedient übernahm sie die sachdienlichen Korrespondenzen der groß-und mütterlichen Leitfigur*en.
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2018 - etwas mehr als dreieinhalb Jahre vor seinem Versterben, rief der Ehemann, Vater und Großvater, mit unterdrückter Rufnummer und zermürbter Stimme eines seiner Kinder an: "Du...-...komm' bitte nicht mehr hierher...-. Die wollen das nicht."
2021 Frühling, erhielt dieselbe, in allen un-/möglichen Abhängigkeiten verstrickte und gefangene Seele, des aufrichtig gottesgläubigen und worttreuen Ehemannes, Vaters und Großvaters, einen spröden, in Juristendeutsch verfassten Brief von der Staatsanwaltschaft "das Betrugsverfahren gegen Sie ist eingestellt".
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August 2021. Die Tür zum Krankenzimmer knarrte ein wenig, "Darf ich reinkommen...??" zögernd ging sie ins Zimmer. --- Seine Augen waren weit aufgerissen und der Blick angstzerfressen "Ich bin es nicht wert, dass man sich um mich kümmert." brach es aus ihm heraus. "Stop. Das ist nicht wahr. Du bist es wert." sagte sie.
Kreativer Schreibprozess.
- Fortsetzung folgt -
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